Sonntag, 22. März 2015

(1) Im Campercar durch Tasmanien - Beginn in Hobart

Bei unserer ersten Reise vor vier Jahren hatten wir  in unserer „Ethel“ Australien umrundet – von Perth nach Perth. Doch einige Lücken waren geblieben – unter anderem Tasmanien und Melbourne. Mit der neuen Reise sollte diese Lücke geschlossen werden. Hinzu kam, dass unsere Tochter Anna-Lena inzwischen nach Melbourne gezogen ist, dort wohnt und arbeitet.  Natürlich interessierten uns ihre neuen Lebensverhältnisse.  
So flogen wir von Barcelona nach Dubai und von dort nach Melbourne.  Nach  einem kurzen Orientierungs-Wochenenende flogen wir nach Hobart weiter, der Hauptstadt Tasmaniens. Dort nahmen wir einen Campercar in Empfang, in dem  wir 10 Tage (25.11.-5.12.2014) durch die Insel  fuhren.

Tasmanien Karte

Tasmanien


Tasmanien – vielseitige Insel


Neben  den lebhaften Städten Hobart und Launceston  bietet Tasmanien viel Natur und Landschaft, ausgedehnte Nationalparks mit kühlen Regenwäldern (ca. ein viertel der Insel sind geschützte Gebiete), riesige Weideflächen mit Schafen und Kühen, große Obstplantagen, Weinfelder und schöne Blumengärten, lang gezogene  Sand- und Felsstrände, herrliche Buchten, wellige Hügel, Hochflächen und Berge (bis 1600 m), verschlafene Dörfer und große Farmen im georgianischen  und viktorianischen Stil (Georg IV., 1820-1830, Victoria, 1937-1901 Könige des britischen Empire). Insgesamt wohnen  rund 515 000 Menschen auf der 68 400 km²  großen Insel. (Die Größe entspricht nicht ganz der  Irlands.) Die Strecke von Hobart  im Süden  nach Launceston im Norden beträgt  auf dem kürzesten Weg  etwas mehr als 200 km. (Das erscheint wenig, aber angesichts von Bergen und Kurven dauert die Fahrt schon eine Weile.) Die gesamte Nord-Süd-Erstreckung beträgt ca. 300 km, ebenso die Ost-West Ausdehnung.


Hobart Tasmanien
Hafen Hobart

Townhall (Rathaus) Hobart


Ein Gouverneur  Tasmaniens (Franklin) bei Townhall und vor Kathedrale


Sitz des Gouverneurs in der St. Davids  Cathedral


Hobart – Besuch im Museum


In Hobart hielten wir uns nur kurz auf, wozu die komplizierte Verkehrsführung und der dichte Verkehr  beitrugen.  Ich hatte zunächst auch mit dem ungewohnten Auto und dem Linksverkehr Probleme, was zu einer freundlichen Ermahnung von Seiten einer Polizeistreife führte.  Unser Eindruck ist, dass Hobart eine lebhafte und zwischen Bergen, Fluss und Meer hübsch gelegene Stadt mit viel Grün ist. Diesen Eindruck hat man schon, wenn man – vom Flughafen kommend  - über die große Tasman-Brücke über den Derwent River in die Stadt einfährt. Schafft man es dann, den richtigen Weg in die Innenstadt und einen Parkplatz zu finden, dann wird man beim Bummel durch das Stadtzentrum durch viele historische Gebäude, nette Cafés, Restaurants und Geschäfte überrascht. Ich will aber die Stadt nicht weiter beschreiben, da ich hier ja keinen Reiseführer schreibe, sondern schildere, was uns auf unserer Reise am meisten beeindruckt hat.

Uns als historisch Interessierte, zog es bald in das „Tasmanian Museum and Art Gallery“. Hier fanden wir eine interessante Sammlung zu Tasmaniens Natur, Kultur, Geschichte und Kunst.

Samstag, 21. März 2015

(2) Museum Hobart - Trukanini / Schicksal einer Aboriginal-Frau







Museum Hobart
Trukanini im Alter ( Tasmanian Museum Hobart - https://www.tmag.tas.gov.au/ )
Museum Hobart
Die junge Trukanini (zeitgenössisches Porträt - Museum Hobart)

Museum Hobart
Trukaninis Mann Wooraddy (Museum Hobart)

Museum Hobart
Eine europäische Siedlerfrau (Museum Hobart)

Museum Hobart
Europäischer Siedler (Museum Hobart)

Berührt haben uns vor allem die Ausstellungsstücke und Dokumente zur tragischen Geschichte der Aborigines. Sie wurden durch Robben- und Walfänger, Siedler, Krankheiten und Aktionen der britischen Verwaltung  dezimiert, deportiert und  fast ganz ausgelöscht.

Hier  fanden wir auch das Bild der  angeblichen  letzten „vollblütigen“ nativen Tasmanierin, Trukanini alias „Lalla Rook“ (ihr „christlicher“ Name). Sie war Begleiterin und Dolmetscherin des von Gouverneur George Arthur (1824-33) ernannten „Conciliators“, George Augustus Robinson, ein ehemaliger Bauhandwerker und Laien-Prediger aus England. Er sollte die Eingeborenen in  „Freundschaftlichen Missionen“ („Friendly Missions“) „versöhnen“. Auf Grund seiner Aufzeichnungen  weiß man viel über Trukanini, wie umgekehrt er von ihr viel über die Kultur der tasmanischen Native People erfuhr. Ihr Schicksal ist repräsentativ für die letzten tasmanischen Eingeborenen. 
Als Tochter eines Aboriginal- Chefs  ca. 1812 geboren, war sie quasi eine „Eingeborenen-Prinzessin“. Sie war mit der traditionellen Lebensweise ihres Stammes verbunden.  Ihre Mutter wurde von Walfängern getötet, ihr Verlobter  in ihrem Beisein von Holzfällern grausam umgebracht, zwei Schwestern von Robbenfängern in die Sex-Sklaverei entführt, ein Onkel von Soldaten getötet. Sie erlebte und überlebte den „Black war“ (1828-1830), die vom Gouverneur eingeleitete systematische Jagd von Siedlern und Soldaten auf die Eingeborenen und deren Gegenwehr. Diesem ungleichen "Krieg" zwischen beiden Seiten fielen wohl 1000 tasmanische Eingeborenen und 100 Europäer zum Opfer. 1830 wurden Trukanini und ihr Mann Wooraddy, ebenfalls ein Stammes-Chef, zusammen mit den  letzten Überlebenden der tasmanischen Eingeborenen, von Bruny Island (an der Südspitze Tasmaniens)  nach Flinder´s Island gebracht (nördlich von Tasmanien). Robinson hatte die Leute mit Versprechungen, die nur zum Teil eingehalten wurden, dort hin gelockt, wo sie hofften, in Ruhe und in ihrem Lebensstil weiter leben zu können. Wooraddy und Trukanini hatten zugestimmt, in der Hoffnung, ihre Volksgenossen zu retten. Auf Flinder´s  Island  sollten sie als Bauern leben, Kartoffeln anbauen und essen und schließlich „christianisiert und europäisiert“ werden. Dies scheiterte, ein Großteil der dort praktisch in Gefangenschaft Gehaltenen, ging  an Krankheiten und Entwurzelung zugrunde.

Trukanini, ihr Mann und einige andere begleiteten Robinson in die Gegend von Melbourne, wo er von der Regierung Victorias zum  „Chief Protector“ für die Eingeborenen ernannt worden war. Robinson sollte auch dort die Aborigines  befrieden, erfolglos. Trukanini  und Wooraddy waren von ihrem bisherigen Schutzherrn enttäuscht und kehrten sich von ihm ab – die Gruppe wurde zu „Outlaws“, bestahl Siedler und  tötete zwei Walfänger (die möglicherweise die Frauen belästigten).  Zwei der Männer wurden in Melbourne gehängt,  Trukanini und ihr Mann  wurden zurück nach Flinder´s Island geschickt. Wooraddy verstarb während der Überfahrt. Den Rest der auf der Insel Überlebenden siedelte man  in die Nähe von Hobart um, in Trukaninis altes Heimatgebiet. Sie nahm ihren traditionellen Lebensstil – Jagen, Fischen - wieder auf. 1873 war sie die einzige Überlebende dieser Gruppe. 1874 zog sie nach Hobart, in die Obhut einer europäischen Familie. In Hobart war sie eine bekannte Figur. Sie starb dort 1876.
Die Regierung erklärte sie zur „letzten reinrassigen“  tasmanischen Nativen. In ihren Augen war damit das Eingeborenen-„Problem“ gelöst. Tatsächlich gibt es aber Nachfahren der „ersten Leute“ von Tasmanien, die heute wieder ihre Stimme und Ansprüche erheben. Sie stammen meist von Kindern ab, die schwarze Frauen mit weißen Männern hatten.
Trukanini hatte einst gesagt: „Ich weiß, wenn ich sterbe, will das Museum meinen Körper“. Sie sollte Recht behalten. Zwar wurde sie beim Alten (Cascade-)Frauengefängnis begraben, aber zwei Jahre später exhumiert, von der „Königlichen Gesellschaft von Tasmanien“  mit Erlaubnis der Regierung ,  für „wissenschaftliche Zwecke“.  Europäische Antropologen waren an den Körpern von tasmanischen Eingeborenen interessiert, weil man sie wegen ihrer langen Isolierung auf der Insel für eine „zurückgebliebene Rasse“ hielt.

Das Skelett Trukaninis war lange Zeit in dem Museum, das wir besuchten, ausgestellt. Hundert Jahre nach ihrem Tode gelang es Nachkommen ihres Volkes, ihre Überreste zu erhalten und, gemäß ihrem letzten Wunsch und nach der Art ihres Volkes, zu bestatten. Ihre Asche wurde nahe ihrem  Geburtsort ins Meer verstreut.

Oben: Aboriginal -Hütte (Museum Hobart)
unten: frühe europäische Siedlerhütten im Outback (Gemälde)




Bürgerliches Siedlerhaus (Ross - Tasmanien)
Robinson auf einer seiner "Freundlichen Missionen" - Trukanini rechts zeigt auf ihn (Gemälde: Museum Hobart)

Aboriginal-Kanu (Museum Hobart)

Romantische Landschaft (tasmanisch inspiriert) mit Aboriginal-Lager (Gemälde Museum Hobart)


Freitag, 20. März 2015

(3) Auf dem Weg nach Port Arthur - Tasman Peninsula


Eaglehawk Neck – Grenze für Tiere und Gefangene


Nach Hobart  fuhren wir Richtung Tasman Peninsula; genannt -  wie die ganze Insel - nach dem holländischen Seefahrer Abel Janszon Tasman. Auf der Suche nach dem sagenhaften Kontinent „Terra Australis“ (Südland) setzte er als erster Europäer 1642 seinen Fuss auf das Eiland. Er nannte es nach dem Gouverneur von Holländisch-Ostindien „Van Diemens Landt“. Tasman erkannte nicht, dass es sich um eine Insel  handelte.  Tasmanien  ist seit 12 000 Jahren vom australischen Festland durch die Bass Street getrennt. Ab 1803 besiedelten Briten die Insel, nannten sie aber weiterhin Van Diemen´s Land. Erst 1856 erfolgte die Umbenennung, als die Insel im Rahmen der australischen Kolonien des britischen Empire eine eigene Verfassung und Regierung erhielt. „Van Diemen´s Land“: diese Bezeichnung war gleichbedeutend mit „Sträflingsinsel“ – davon wollte man wegkommen.
Die Insel wurde in der Frühzeit der britischen Kolonisierung vor allem als Strafkolonie vorgesehen. Die freien Einwanderer und Siedler waren mit diesem Geschäft verbunden. 1849 waren 52 % der Bevölkerung in Van Diemen´s Land Gefangene und Ex-Gefangene (!).

So war  denn auch eines unserer ersten Ziele die ehemalige Gefängniskolonie Port Arthur, benannt nach dem Gouverneur George Arthur (1784-1854), auf dessen Initiative sie auch zurückgeht.

Schmale Landbrücken trennen die Forestier  Peninsula und die anschließende Tasman Peninsula von der großen Insel. Wir fahren über die Landenge „Eaglehawk Neck“ auf die Tasman Peninsula und sehen, das ist eine natürliche Grenze, die leicht kontrolliert werden kann. So hat man Vorkehrungen getroffen, dass die „Tasmanischen Teufel“ – diese kleinen possierlichen Raubtiere mit den großen Reißzähnen – aus dem tasmanischen „Festland“ nicht auf die Halbinsel kommen können. Auf diese Weise hoffte man, die bisher noch nicht von einem ansteckenden Tumor befallenen Tiere der Halbinsel gesund bewahren zu können um so die gefährdete Art überhaupt zu erhalten. Sie sollen nicht dasselbe Schicksal haben wie ihr größerer Verwandter, das Wappentier Tasmaniens, der ausgestorbene „Tasmanische Tiger“.

Über diese Landenge wollte man 1830 auch die Eingeborenen durch eine groß angelegte „Treibjagd“ von bewaffneten Siedlern, Sträflingen und Soldaten  jagen, die „Black Line“. Ziel war, die Aborigines von den Siedler-Gebieten zu vertreiben, um so die gegenseitigen Feindseligkeiten zu beenden. Dann hätte man auf der Halbinsel die lästigen Native People und die unliebsamen Strafgefangenen  beisammen gehabt. Die Bewachung der Landenge durch Soldaten und Hunde, die gegen flüchtige Strafgefangene eingerichtet wurde, hätte dann einen weiteren Zweck gehabt. Aber die „Black Line“ war ein Fiasko. Man fing zwei Aborigines und tötete zwei oder drei. Doch die, die durch die Maschen schlüpfen konnten, waren mürbe gemacht:  für die Umsiedlung nach Flinder´s Island.

Wir  bewundern die felsige Küstenlinie und besichtigen einige Natursehenswürdigkeiten: das „Tasselatet Pavement“, ein von den Gezeiten modelliertes Steinpflaster am Strand und den hohen Felsbogen „Tasman Arch“. Dann fahren wir durch den Wald des Tasman National Park auf einen abgelegenen Campground  an der Fortescue Bay. Eigentlich hätten wir auf der unbefestigten Straße mit unsrem Campercar laut Vertrag nicht fahren dürfen, aber wir wollten einmal wieder ein Outback-Erlebnis haben. Da standen wir dann mit unserem  zahmen Gerät unter Australiern mit 4 WD-Fahrzeugen, die uns stolz  ihre Wilderness-Ausrüstung zeigten. Die Natur dort herum war schön. Wir nahmen uns aber vor, solche Wagnisse auf Tasmanien nicht mehr zu unternehmen, zumal das Campen in den National Parks – bei einfachsten Verhältnissen - durch Eintritt und Camping-Gebühren nicht billiger als ein normaler Camping-Platz ist.

Tasmanien
Abel Tasman

Port Arthur Tasmanien
Gouverneur George Arthur

Port Arthur Tasmanien
Karte Tasman Peninsula - Eaglehawk Neck und Port Arthur gekennzeichnet

Tasmanien
Tasmanischer Teufel

Tasmanien
Der letzte (?) Tasmanische Tiger im Zoo von Sidney (1936)

Tasmanien
Küste Tasman Peninsula

Tasselated Pavement

Tasmanien
Tasmans Arch

Strasse zur Fortescue Bay

Fortescue Bay

Campground Fortescue Bay

Donnerstag, 19. März 2015

(4) "Verbannt in die Hölle" - Strafkolonie Port Arthur

Ankunft in Port Arthur


Port Arthur
Eingang

Port Arthur
Das Hauptgefängnis

Port Arthur
Ein Gefangener

Wir kommen an der Historischen Stätte (Weltkulturerbe) an. Nach Zerstörungen durch Buschbrände und Verfall wird  Port Arthur  als „Freiluftmuseum“  wieder in Stand gesetzt.  Wir sehen viel Grün vor uns, Wiesen, Gartenanlagen. Hinter einer Wiesenfläche - die lang gestreckte Ruine des Hauptgefängnisses mit vergitterten Fensterhöhlungen. Rechts und links verstreut auf dem Hügel kleinere und größere Gebäude. Wir machen einen Wachturm an erhöhter Stelle, Türme auf Gebäuden und rechts eine große Kirche aus.

Wir schließen uns einer Führung an. Der Führer erzählt:
1830 wurde die Strafkolonie als Holzfällerlager angelegt. Von 1833 bis um 1850 wurden Tausende von Straffälligen aus England und Australien  hierher gebracht. Viele galten als Schwerverbrecher, aber andere, z. Kinder und Jugendliche, wurden oft nur wegen geringer Vergehen nach Port Arthur geschickt. Die meisten Sträflinge waren renitente, rückfällige und geflohene Sträflinge aus anderen australischen Gefängnissen. Unter härtesten Bedingungen, durch Arbeit, Disziplin, Strafen moralische und religiöse Instruktion, sollten sie zu „ehrbaren Menschen“ erzogen werden. „Resozialisierung“ auf die harte Tour! Insgesamt sind 12 500 „Convicts“ durch das Lager gegangen. Viele starben an Entkräftung, Krankheiten, Unfällen, Verzweiflung, auf der Flucht, wurden  in diesem „Konzentrationslager“ gebrochen, aber – und das ist der Unterschied zu den Nazi-Konzentrationslagern – es war keine auswegslose Vernichtungsmaschinerie. Wer sich gut führte oder ein tüchtiger Arbeiter war, erwarb sich Vorteile. Manche verließen das Lager rehabilitiert und  fanden als „Emancipists“  ins normale Leben zurück, als Handwerker, Farmer, Geschäftsleute, spielten sogar eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben Australiens.
Im „Museum“ können Nachkommen von Sträflingen und Bediensteten Familienforschung betreiben. Man versucht, die Lebensgeschichten aller Menschen, die hier durchgingen, zu rekonstruieren.  Inzwischen ist man stolz auf solche Vorfahren.
Schon bei der Ankunft auf Schiffen – es gab keine  Strasse nach Port Arthur - wurde den Convicts klar gemacht, dass Flucht und Widerstand sinnlos sei. Die Schiffe mussten Segel und Ruder abgeben, um Meuterei und Flucht bei der Ausladung  zu verhindern. Die Ankommenden erhielten Kappen und Sträflingskleidung (schwarz-gelbe Weste, auffällig – wie Elstern!), den „gefährlichen“ Gefangenen wurden Fußketten angelegt, die Gefängnis- und Strafordnung wurde vorgelesen…Bewaffnete Soldaten  waren allgegenwärtig…Die Kolonie war von dichten Wäldern umgeben, vor den Anlagen öffnet sich eine Bucht, in der es – wie es hieß - von Haifischen wimmelt, der Zugang zur Tasman-Halbinsel  war scharf bewacht.
Trotzdem  wagten manche die Flucht. Der Führer erzählt die Geschichte des Fluchtversuches von „Billy“ Hunt. In ein Kängurufell verkleidet, gelang es ihm, zu entfliehen. In Eaglehawk  Neck, der Landenge, versuchte er an den Wächtern vorbei zu hüpfen. Diese aber waren hungrig und legten ihre Flinten auf das große vermeintliche Wildpret an. Billy ließ sein Fell fallen und ergab sich. Zurück in Port Arthur erwarteten ihn 150 Peitschenhiebe und verschärfte Haft. 
Der Schriftsteller Marcus Clark schildert in seinem auch verfilmten Roman „Lebenslänglich“ (1870-72: engl.: For the Term of His Natural Life) eine weniger tragik-komische Geschichte: Eine Gruppe von Gefangenen entflieht in den Bush, wo sie sich hoffnungslos verirren. Sie beginnen einander zu töten und zu verspeisen. Die Schilderung ist fiktiv, geht aber auf eine tatsächliche Geschichte zurück, die des Sträflings  Alexander Pearce, der 1823 aus der Macquarie Harbour Penal Station entfloh. 

Blick von Seeseite auf Port Arthur
Fusskette

Auspeitschung eines Gefangenen
Gefangenenkleidung

Tägliche Gefangenenration

Gefangen in einer Maschinerie - Wächter und Gefangene


Beim Gang durch die Anlagen wird die Trennung, der Gegensatz von Gefangenen und  „Personal“ deutlich. In der von einem Garten umgebenen Residenz der Kommandanten – an hoher und aussichtsreicher Stelle über der Bucht gelegen – finden wir die vornehme Einrichtung der damaligen Zeit. Hier wurden  festliche Dinners, rauschende Partys, literarische und musikalische Abende abgehalten. Man fragt sich beim Besuch der Häuser der leitenden Militärbeamten und Offiziere, wie die Leute mit dem Elend da unten zurechtkamen, der Schufterei, den Schreien, den Schüssen, den  finsteren und verzweifelten Blicken.... Für sie und ihre Familien gab es Gärten, wo sie lustwandeln konnten, eine Schule für ihre Kinde, Regatten und andere Annehmlichkeiten.


Ein Kommandant

Arbeitszimmer in der Kommandantur

Küche










Damensalon

Kaminzimmer


Schlafzimmer 

Esssalon


Eingang zum Haus des Kommandanten




























Das Leben der einfachen Soldaten war nicht so angenehm wie das der höheren Chargen. Sie lebten in Baracken um den Wachtturm. Ihre Aufgabe war die Bewachung der Convicts, generell und bei allen ihren Tätigkeiten. Das war sicher oft eine deprimierende und bisweilen auch gefährliche Aufgabe: renitente, gewalttätige, eventuell meuternde Burschen zur Räson zu bringen, gegebenenfalls von Bajonett und Schusswaffe Gebrauch machen… Ihr Leben war streng reglementiert, für alles mussten sie Erlaubnis einholen, ständig sollten sie einsatzbereit sein. Bei disziplinarischen Vergehen wurden sie ausgepeitscht – wie die Gefangenen. Es blieb wenig an Freizeit und der abgelegene Ort bot natürlich nicht viele Möglichkeiten: Fischen, Bootfahren, Kartenspielen… Man kann sich denken, dass es bei den britischen Soldaten keine Begeisterung auslöste, nach Port Arthur versetzt zu werden. Es waren ohnehin die armen Kerle, die zur Army gingen und viele mag nur das abgehalten haben, auf denselben Weg zu geraten wie die Convicts. Sie waren ein Rädchen in der Maschinerie - aber sie hatten ihren Anteil an der Macht über die Gefangenen; das und ihre Lage mag zu mancher Gefangenenmisshandlung geführt haben…Einige Soldaten durften ihre Frauen mitbringen, sie wurden für „frauliche“ Tätigkeiten eingesetzt: Waschen, Nähen…Sicher kein beneidenswertes Los!


Wachtturm 

Offiziershäuschen 

O' Brien 


O'Briens Häuschen (links) - oben: innen

Bei unserem Rundgang kommen wir auch an der Hütte eines der prominenten Strafgefangenen Port Arthurs vorbei:  hier lebte der  irische Parlamentarier und Protestant William Smith  0`Brien. Er wurde für seinen Kampf für die Unabhängigkeit Irlands zum Tode verurteilt, was dann aber zu lebenslänglicher Haft in Van Diemen´s Land  umgewandelt wurde. Nach einem Fluchtversuch von einer anderen tasmanischen Gefängnisinsel kam er nach Port Arthur. Er verbrachte aber nur ein Jahr dort in lockerer Haft. In seinem Tagebuch, in das man in seinem einfachen Häuschen Einblick nehmen kann, beschreibt er seine Beobachtungen und Spaziergänge (nach der Begnadigung).

Isolationsgefängnis 

Einzelzelle 

Zelleneinrichtung 

Blick von Kanzel auf  Kircheninneres


In einem Einzel-"Stall"














An Wäscherei, Krankenhaus, einem späterem „Armenhaus“ vorbei,  gelangen wir zum großem „Asyl“ (in den beiden letzten Gebäuden wurden bis 1877 arme und psychisch kranke  Ex-„Zuchthäusler“ untergebracht). Das Asyl ist heute Museum. Erst einmal stärken  wir uns in einer großen Halle – wahrscheinlich schon früher der Esssaal - bei Kaffee und Kuchen. Freundlich und gemütlich hier! Dann  vertiefen wir uns in die weniger gemütlichen Dokumente und Schaustücke in den Seitenräumen, die das Leben in Port Arthur bezeugen.

Anschließend kommen wir zum „Isolationsgefängnis“, das 1849 nach „modernen“ Prinzipien eingerichtet wurde. Von einer zentralen Überwachungs-Halle gehen kreuzweise lange Gänge aus, Zelle an Zelle. Ich trete in eine der Zellen und mache die Tür hinter mir zu. In der Tür eine kleine Öffnung, durch die wohl das Essen gereicht wurde. Was mir zur Verfügung steht ist:  Pritsche, Stuhl, Tisch, Klosetteimer – auf dem Tisch die Bibel. Ganz oben an der Wand gegenüber der Tür ein kleines Fensterchen – unerreichbar. Ich kriege Beklemmungen.
Hier mussten die Gefangenen arbeiten, essen, schlafen und sollten über ihr Vergehen meditieren – isoliert, 23 Stunden am Tag, eine Stunde Bewegung  im Hof mit uneinsehbaren Mauern, Kapuze über dem Kopf. Kein Wort mit den übrigen Gefangenen war erlaubt – mit den Wärtern nur das Notwendigste. Angeredet wurden sie mit ihrer Nummer. Verhielten sie sich gut, bekamen sie größere Essensrationen, Tee, Tabak… Die weniger Umgänglichen wurden auf minimale Rationen gesetzt. Keine Körperstrafen mehr, aber psychischer Horror!  Drehten sie durch, war ja das „schöne“ Asyl da.
Auch in der Kirche: Hunderte von Einzelzellen, nur der Kopf des Stehenden blickt Richtung Kanzel über die Holzwände. Einzeln wurden sie hinein- und hinausgeführt. Nicht einmal Blickkontakt mit dem Nachbarn ist möglich. Ich begebe mich auf die Kanzel und stelle mir vor, welchen Anblick der Geistliche vor sich hatte: Lauter Kapuzenköpfe zwischen den Wänden, die durch Augenschlitze in seine Richtung blickten! Wie mag es geklungen haben, wenn sie sangen – hierzu durften sie den Mund aufmachen -: Großer Gott, wir loben dich? Ich frage mich,  was ich hier gepredigt hätte. (Ich war einmal – nebenberuflich – Gefängnispfarrer und habe auch ein Buch über Strafvollzug geschrieben: „Hinter Gittern“ - 1972!)


Die Grosskirche 

Grosskirche -zerstörtes Innere

Zentraler Weg im Regierungsgarten 

Wir kommen zu den Ruinen der  riesigen neugotischen Kirche, die - zum Teil von jugendlichen Sträflingen - 1836/37 erbaut wurde, also vor der Kirche im Isolationsgefängnis. Die Größe drückt aus, als wie wichtig man die moralisch-religiöse Instruktion ansah. Was mag das für eine Religion gewesen sein, die hier gelehrt wurde? Der Bau ist aber auch deswegen so groß, weil hier sonntäglich die ganze Masse an Gefangenen hinein geführt wurde – zwangsweise – und mit ihnen die Wachmannschaften. Auf Verweigerungen hin, wurden die Gottesdienste  nach Konfessionen gestaffelt.
Wir blicken von der Kirche hinunter auf das Gelände der Kolonie. Vor uns der klassisch angelegte – mit Büschen umgebene - Garten des Regierungsvertreters, in dem man sich unter Ausschluss der Sträflingswelt ergehen konnte. Heute sieht alles nahezu romantisch aus, aber damals musste ein Gefangenen-Aufenthalt wie „Verbannt in die Hölle“ gewesen sein (so der  Titel der Fernsehverfilmung des Romans „Lebenslänglich“, in dem die Zustände in der Port Arthur beschrieben werden.)
Ob die vielen Besucher, die hier umher spazieren, etwas von der  Atmosphäre des Schreckens spüren, die über der ganzen Anlage liegt? Uns ging es jedenfalls so, obwohl die Verwaltung sich alle Mühe gibt, den Aufenthalt der Besucher unterhaltsam und angenehm zu gestalten.


Das Massaker von Port Arthur


Im Eintritt ist eine Schiffsfahrt enthalten. Wir machen uns auf den Weg zur Anlegestelle. Dabei kommen wir an einem weiteren Ort des Schreckens vorbei, der durch ein Mahnmal bezeichnet wird. Hier erschoss 1996  ein „Gun Man“  in dem heute abgerissenen Café 12 Menschen. Insgesamt tötete er vor und bei  seinem „Amoklauf“ durch Café und Areal, und auf seiner Flucht 35 Menschen und verletzte 23. Die Tat wurde dem „geistig behinderten“ und „persönlichkeitsgestörten“ (so ein psychiatrischer Befund), aber durch Erbschaft wohlhabend gewordenen,  28-jährigen Martin Bryant aus Hobart zugeschrieben. Bryant bekannte sich zunächst nicht als schuldig. Er sitzt heute zu 35-fach „lebenslänglich“ verurteilt – rund um die Uhr bewacht - in der psychiatrischen Abteilung  eines Gefängnisses in Hobart, wo er mehrere Suizid-Versuche begangen hat. Die Tat führte zum Verbot privaten Besitzes von automatischen Feuerwaffen in Australien. Inzwischen sind Zweifel geäußert worden, ob Bryant  in der Lage war, diese kaltblütigen und professionell erscheinenden Morde in Port Arthur zu begehen.


Toteninsel  und Knabenanstalt


Fahrt zur Toteninsel 

Das Schiff legt ab.  Am Ufer erblicken wie die künstlerische Nachbildung eines Schiffsgerippes. Hier war die Werft, auf der Gefangene Schiffe bauten. Was bei der Besichtigung nicht so in´s Auge fällt: Port Arthur mit seinen Werkstätten, seiner Holzverarbeitung, den Steinbrüchen und einem Kohlebergwerk war ein großes Wirtschaftsunternehmen der Regierung, getragen von „Zwangsarbeit“. Nicht umsonst wurden die Gefangenen schon vor der Ankunft in Port Arthur „vorsortiert“, nach Fähigkeiten und Eignung.
Wir umrunden die „Toteninsel“ – durch Bewaldung und Wetter macht sie einen düsteren Eindruck. Hier liegen die Überbleibsel der in der Kolonie verstorbenen Gefangenen und Personalangehörigen. Fast nur letztere erhielten  Grabsteine. 
Wir besuchen die Insel aus Zeitgründen nicht, aber auf einer Postkarte, die wir erwerben, finden wir den Grabstein eines Convicts abgebildet und erfahren etwas über sein Schicksal.


„Hier liegen die Überreste von GEORGE  BRITTON. Im Alter von 53 wurde er durch einen Unfall getötet, durch eine Explosion in einem Steinbruch am 28.März 1861“

Wir lesen auf der Karte: „George Britton, der behauptete, sein wirklicher Name sei Maurice Lyttleton…wurde am 17. Mai 1832 in Middlesex (Grafschaft in der Nähe von London) wegen Kleiderdiebstahl zu 7 Jahren Verschickung verurteilt. Er segelte nach Van Diemen´s Land mit dem Gefangenentransport auf der „York“, die am 1.September 1832 Plymouth verließ, und kam am 29. Dezember desselben Jahres an. Seine „Gefangenenakte“ in Van Diemen´s Land ist eine der längsten und umfasst die Jahre 1833 bis zu seinem Tode 1861. In dieser Zeit häufte er eine beachtliche Liste an Verurteilungen an. Insgesamt erhielt er 17 Urteile mit einer Summe von 766 Peitschenhieben, die von 25 bis 100 Streichen reichten.“
Man mag die Lücken in diesem Lebensabriss mit der eigenen Phantasie ausfüllen.
Die Fahrt geht weiter zum „Point Puer“, einer Insel, auf der die Kinder und jugendlichen Strafgefangenen lebten. Wegen des möglichen schlechten Einflusses hielt man sie getrennt von den erwachsenen Straftätern. Sie wurden in zwei Abteilungen unterbracht: einer für die „leichteren“ Fälle (Baracken) und  einer anderen für die „Schwererziehbaren“ (Einzelzellengebäude). Ihr Tageslauf war streng reglementiert: früh morgens, 5.00 Uhr, fing er mit Versammlung zum Gebet an, dann ein wenig Freizeit, 7.00 Uhr Frühstück, 8.00-17.00 Uhr Arbeit, danach zwei Stunden Schule, bald danach Gebet und Bett. Sonntags Gottesdienste und Schule. Immerhin konnten die Jugendlichen ein Handwerk lernen. Die Erziehung wurde durch rigide Strafen und moralisch-religiöse Unterrichtung  implementiert.  Kein Wunder, es wird von Gewaltakten und Fluchtversuchen berichtet. Aber auch hier: Mancher der aus den Londoner Slums ankommenden verwahrlosten Knaben wurde nach seiner Entlassung ein arbeitsamer und „ordentlicher“ Bürger Australiens.

Zwei Gefangenenschicksale

                                                                 
                       
  
  
Ein Gefangenenblatt 

Nach unserem Rundgang besuchen wir das Besucherzentrum. Hier kann man eine Spielkarte ziehen. Dahinter verbirgt sich ein Gefangenenschicksal, dem man nachgehen kann.  Die „Akten“, die über jeden Convict in Port Arthur  geführt wurden , machen ein solches „Spiel“ möglich. Ich ziehe einen Herz-König, mit dem Bild  eines dicken gekrönten Schmids, der sich auf einen Amboss stützt, einen Hammer in der Hand – mieser Gesichtsausdruck. Auf der Rückseite jeder Karte ein „Union Jack“ als sich drehendes Rad, umgeben mit Szenen und Gebäuden aus der Gefängniskolonie. „Mein“ Convict:

WILLIAM MOORE -  Handwerk: Feilenschneider und Arbeiter -  Alter : 23 - Geboren: Stocketh, Lincolnshire, England - Gefangen: Juli 1829 wegen Diebstahls von Silberlöffeln - Verurteilt zu: 7 Jahre Verschickung  - Nach Port Arthur gebracht: Verdacht auf Tabakdiebstahl. Diesem Mann wurde vorgeworfen, Tabak im Werte von zwei Pence aus einem Laden in Hobart gestohlen zu haben. Der Vorwurf wurde aus Mangel an Beweisen fallen gelassen, aber es wurde empfohlen, ihn trotzdem nach Port Arthur zu schicken.
Willam konnte offenbar das Rauchen nicht lassen (da ging es ihm wie mir!). 1832 erhält er 32 Hiebe wegen Rauchens in der Schmiedewerkstatt – er war nämlich zum Schmied ausgebildet worden. (Eine üble Raucherentwöhnung. Ob sie wirksam war?) Außerdem wurden ihm „Privilegien“ entzogen: der Erhalt von Tee und Zucker.
Im Internet finde ich heraus, dass er im Juli 1831 auf der „Bussorah Merchant“ mit 199 anderen Convicts in England eingeschifft wurde und im November in Van Diemen´s Land ankam. 5 Monate Fahrt um Afrika herum, in vergitterten Verschlägen unter Deck!
Leider kann ich nicht feststellen, wie es mit ihm weiterging, und ob er aus Port Arthur herauskam. Ich finde keine Nachfahren, die sich auf ihn zurückführen.


Dagmars Karte: eine Kreuz Vier – mit dem Bild eines Mundes, der auf eine Münze beißt:

WILLIAM  MC CORVILLE – Handwerk: Leinenweber – Alter 19 – Geburtsort: Manchester, England – Gefangen: Oktober 1822, weil er George Swanbuck ausgeraubt hat – Verurteilt: Zu 7 Jahre Verschickung – Nach Port Arthur gebracht: weil er minderwertige Münzen in seinem Besitz hatte.
Über ihn  finde ich heraus: er kam mit dem Schiff „Albion“ nach 154 Tagen Überfahrt in Van Diemen´s Land an. Auf dem Schiff hat er sich „ordentlich“ („orderly“) verhalten. Er wurde in Lancaster 1822 wegen der Beraubung des Händlers Swanbuck – er hatte ihm ein Stück Käse geklaut – und wegen eines vorhergehenden „Überfalls“ („Assault“) verurteilt. Das wird als „felony“ („Verbrechen“) zusammengefasst. Dann leistete er „öffentliche Arbeiten“ in Hobart. Dort muss er sich etwas zuschulden haben kommen lassen, denn 1828 wird die Haft um 3 Jahre verlängert („extended“). 1832 ist er „frei“, aber 1833 muss er schon wieder „öffentliche Arbeiten“ leisten. 1835 wird er nach Port Arthur geschickt – unverbesserlich?
Über sein weiteres Schicksal kann ich nichts herausfinden. Leider erinnern wir uns nicht mehr, was in Port Arthur über ihn angegeben wird.

Wir verlassen die historische Gefängniskolonie und besteigen auf dem Parkplatz unser Wohnmobil. Aber auch hier lässt uns die Vergangenheit nicht los. Beim „Massaker von Port Arthur“ spielten sich hier schreckliche Szenen ab: vier Besucher wurden getötet und sechs verwundet.