Freitag, 6. März 2015

(17) Ned Kelly (1854 -1880) – eine australische Legende

Ned Kelly

Edward „Ned“ Kelly stammte aus einer Familie, in der es Tradition war, sich gegen die staatlichen Autoritäten aufzulehnen. Der Sohn eines irischen Strafverbannten - wegen „Schweinediebstahl“ nach „Van Diemen´s Land“/Tasmanien verbracht - wuchs unter ärmlichen Verhältnissen in der Nähe von Melbourne auf.

Irische Immigranten – die in großer Zahl nach Australien kamen - waren meist arm und  standen unter dem Verdacht konspirativer und krimineller Neigungen.

Als Schulkind rettete Ned unter Lebensgefahr einen  Jungen vor dem Ertrinken und erhielt als Belohnung von dessen Eltern eine Schärpe, die er noch bei der finalen Gefangennahme unter seiner Rüstung trug. Sein Vater verstarb an den Folgen von Alkoholmissbrauch und eines Gefängnisaufenthaltes mit Zwangsarbeit, den er wegen   Besitzes von Ochsenfleischs zweifelhafter Herkunft erhalten hatte. Ned musste den Schulbesuch abbrechen.

Die kinderreiche und zunächst vaterlose Familie verzog in die Gegend um Glenrowan (Victoria) am  Murray-River (heutiges „Kelly-Land“). Ned versuchte durch Viehdiebstähle und Beteiligung an dubiosen Viehhandelsgeschäften zum Unterhalt seiner Familie beizutragen. Bei seinen Diebstählen, die er auch als späterer „Outlaw“ fortführte,  beschränkte sich auf  das Vieh der reichen Grundbesitzer, der „Squatters“, die die armen Siedler – zu denen die Familie Neds gehörte – bedrängten. Dies begründete seinen Ruf als „Robin Hood des Outbacks“.

Der jugendliche Ned wurde mehrfach vor Gericht gestellt (wegen Diebstahl, Raub und Tätlichkeiten), aber mangels Beweisen wieder freigelassen. Zeitweilig soll er Gehilfe des Bushrangers Harry Power gewesen sein. Dieser war in den Bush gegangen, weil er auf zwei betrunkene Polizisten geschossen hatte, die ihn unrechtmäßigerweise festnehmen wollten und attackierten.

Mit 16 Jahren wurde Ned wegen „kriminellen Gebrauchs“ eines angeblich von ihm gestohlenen Pferdes zu 3 Jahren Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. Nach seiner Freilassung aus einem berüchtigten Melbourner Gefängnis wurden die Mutter Neds und seine Schwester von einem betrunkenen örtlichen Polizisten bedroht, der Neds Bruder Dan festnehmen wollte. Es kam zu einem Handgemenge - wobei der Polizist niedergeschossen wurde - und in der Folge beschuldigte der Beamte den abwesenden Ned des versuchten Mordes, worauf dieser in den Bush untertauchte. Mit seinem Bruder Dan und zwei weiteren Freunden irischer Abstammung – sie hatten sich im Gefängnis kennen gelernt -  bildeten die jungen Outlaws eine Gang. Sie waren gute Reiter und kannten sich im Bush vorzüglich aus. Unter der armen Bevölkerung hatten sie Sympathisanten und Unterstützer.

Die Gang umstellte am Stringybark Creek das Camp von vier Polizisten, die sie aufspüren sollten. Drei  - die sich nicht ergaben – wurden durch Ned und seine Komplizen erschossen, angeblich in „Notwehr“. Einer entkam und meldete den Vorfall

Fahndungsaufruf 

Kelly wurde von der Regierung in North South Wales und Victorias zum „Outlaw“ erklärt und eine hohe Belohnung auf seine Ergreifung, tot oder lebendig, ausgesetzt. Auf Grund eines Gesetzes war es jedermann möglich, als Outlaws erklärte Bushranger unverzüglich zu erschießen.
Die Kelly-Gang überfiel verschiedene Banken und nahm dabei Geiseln (die Ned, der sich stets als „Gentleman“ aufführte, gut behandelte und wieder freiließ). Das erbeutete Geld wurde unter der Familie und Freunden verteilt. Ned und seine Kumpane ließen sich schwere eiserne Rüstungen (mehr als 44 kg) aus Flugscharen herstellen, die sie vor Schüssen schützen sollten und in denen sie Furcht einflössend wirken wollten.

Ned kelly
"Rüstung" und Gewehr Kellys 

In einem langen öffentlichen Brief, dem „Jerilderie-Brief“, den Ned  1879 anlässlich eines Banküberfalls in Jerilderie diktiert hatte und der Presse übergeben wollte, verteidigt er seine Aktionen; er gibt kriminelle Taten zu, stellt seinen Werdegang aber als Folge polizeilicher Übergriffe und gerichtlicher Ungerechtigkeiten hin. Er beklagt sich über die Behandlung seiner Familie und der irischen Katholiken überhaupt durch die viktorianische und englische Polizei. Er behauptet, die Gesetze des Empire würden keine Gerechtigkeit kennen und erwägt die Möglichkeit eines Aufstandes. (Wie es heißt, soll Ned auch an die Ausrufung einer Republik in Viktoria gedacht haben.) Der Brief schließt mit Drohungen gegen die, die sich gegen die Gang stellen würden: „Ich bin der ausgestoßene Sohn einer Witwe und meine Anordnungen müssen befolgt werden.“


Aus dem "Jilderie-Brief" Kellys: "Es würde sich für die Regierung bezahlt machen, wenn sie  den unschuldig  Leidenden Gerechtigkeit und Freiheit gewährte"
Unten: Originalseiten des Briefes


Der Brief wurde erst 1930 vollständig veröffentlicht. In der Ausstellung in der State Library ist das Manuskript zu sehen. Das Dokument verschafft einen bemerkenswerten Einblick in die Persönlichkeit Kellys, aber auch in die  damaligen sozialen Verhältnisse der Landbevölkerungs Viktorias, die  polizeiliche Korruption und die Versuche der Führungsschicht durch „Law and Order“ Unruhen und Widersetzlichkeiten zu unterdrücken.

Zur entscheidenden Auseinandersetzung mit der Staatsmacht kam es 1880 in Glenrowan, nachdem eines der Gangmitglieder einen angeblich verräterischen Farmer und ehemaligen Freund erschossen hatte. Dabei standen Fahndungsbefehl und Prämie kurz vor dem Auslaufen und die Gang dachte wohl zunächst daran, ihren Privatkrieg gegen die staatlichen Autoritäten durch Verhandlungen oder Auswanderung beizulegen.

Kurz vor dem „Shootout“ in Glenrowan besuchte Ned seine Kusine Kate, die er liebte. Das hat "Abschiedscharakter" und deutet darauf hin, dass Ned den Kampf mit den "Ordungskräften" für unausweichlich hielt, wobei er mit der Möglichkeit seines Todes rechnete. Vielleicht hoffte er auch, damit eine "Revolution" der armen Bevölkerung gegen die Führung Victorias auszulösen. Über seine Motive zu der selbstmörderisch anmutenden Aktion in Glenrowan können jedoch nur Vermutungen angestellt werden. Jedenfalls ist das Unternehmen bewusst inszeniert worden und nicht zufällig oder erzwungen zustande gekommen. Die Gang hätte beim Anrücken der übermächtigen Gegenkräfte fliehen können...Es war wohl auch so, dass die Gruppe Unterstützer aus der Bevölkerung fand.

Die "Glenrowan Inn", Ort des finalen Kampfes der Kelly-Gang  (Bild: althistory.wikia.com). Archäologen haben in den Resten des abgebrannten Anwesens Spuren des Kampfes gefunden.
Das heutige Glenrowan (184 km nordöstlich von Melbourne) lebt von der Erinnerung an Ned Kelly  (Bild: www.nedkellytouringroute.com.au)

Die Gang zerstörte die Bahngleise nach Glenrowan, auf denen zwei Züge mit Polizeikräften und Truppen zur Ergreifung der Bande sowie Reporter herbeigebracht wurden. Ned und seine Freunde nahmen die Einwohner Glenrowans – die keinen Widerstand leisteten - als Geiseln und verschanzten sich in einem Hotel, in dem die 62 Gefangenen und die Gang mit Whisky und Tanz feierten. Inzwischen waren die Zugbesatzungen (durch Verrat einer frei gelassenen Geisel) gewarnt, die Gleise wiederhergestellt worden und die Züge am Bahnhof angekommen. Das Hotel wurde abends umstellt und eine wilde Schießerei begann, die ohne polizeiliche Erfolge endete. Die Bushranger schienen auf Grund ihrer Rüstungen unverwundbar. Am nächsten Tag trafen weitere Polizeikräfte und Truppen ein (mit einer Kanone!). Sukzessive wurden Geiseln entlassen. Ned Kelly war verwundet worden und hatte sich in den Bush zurückgezogen (um zu flüchten oder um Unterstützer wegzuschicken?). In den frühen Morgenstunden kehrte er zurück und  griff von hinten Polizisten an, denen er in weißem Umhang und Rüstung wie ein Gespenst, Teufel oder „Bunyip“ (Sumpf-Ungeheuer der Aboriginal-Mythologie) erschien. Man feuerte ohne Erfolg auf ihn, bis ein Sergeant bemerkte, dass Füße und Arme ungeschützt waren. Kelly erhielt Einschüsse an Händen, Armen, Beinen und Leistengegend. So wurde er gefangen genommen und zur Bahnstation gebracht, wo er ärztlich versorgt wurde.

Kelly in Aktion (Zeitgenössische Darstellung) 

Im weiteren Verlauf der Belagerung erhielt Gangmitglied  Joe Byrne einen Schläfenschuss, während er an der Bar einen Trinkspruch auf die Kelly-Bande ausbrachte.

Am Nachmittag entschloss sich die Polizeiführung, das Hotel in Brand zu setzen. Das war das Ende: Dan Kelly und sein Kumpan Steve Hart, die bis zuletzt gefeuert hatten, erschossen sich wohl selbst und verbrannten.

Im Kreuzfeuer der Polizei starben zwei Geiseln und es gab 5 Verwundete unter diesen und den Polizeikräften.

Ned Kelly wurde in das „Old  Melbourne Gaol“, das „Alte Gefängnis“, überführt und vor Gericht gestellt. Der ebenfalls irisch-stämmige Richter Barry verurteilte ihn in einer kurzen Verhandlung zum Tode durch Erhängen. Den Spruch des Richters: „Möge Gott deiner Seele gnädig sein“, beantwortete der Verurteilte mit: „Ich werde ein wenig früher gehen und ich werde Sie dort wieder sehen, wenn ich gehe.“ Tatsächlich starb Barry kurze Zeit darauf an einer infizierten Beule am Nacken (!). Die Mutter Neds, die im Gefängnis saß, ermahnte den Sohn: “Stirb wie ein Kelly!“


Das "Alte Gefängnis" in Melbourne 


Kellypuppe, die im "Alten Gefängnis" verkauft wird 

Trotz  kniefälligen Flehens seiner Schwester Kate vor dem Gouverneur und einer Bittschrift mit  ca. 30 000 Unterschriften, die von 200 Leuten überbracht wurde, starb Edward Kelly am 11.11.1880 25-jährig am Galgen des Melbourne Gaol. Heute ist das alte Gebäude mit seinem Galgen eine Besichtigungsattraktion, in der Kelly ganz schön vermarktet wird. Seine letzten Wort, die sprichwörtlich geworden sind, waren: „ Such is life“ – „So ist das Leben“, und: „Ich vermute, es musste so kommen!“

Galgen im "Alten Gefängnis" 
Die "Totenmaske" Kellys 

Die ausgesetzte Kopfprämie von insgesamt 8000 Pfund wurde nach seiner Hinrichtung unter diejenigen, die zu seiner Ergreifung beigetragen hatten, Polizisten und Zivilisten, verteilt.

Die Diskussionen um den Tod Kellys führten zu Veränderungen im Polizeiapparat und in der Gesetzgebung.

Seine Leiche wurde von Medizistudenten seziert - was illegal war - und im Gefängnishof  begraben. Der Schädel, von dem eine Totenmaske abgenommen worden war, wurde für phrenologische Studienzwecke verwendet und diente dann bei der Polizei eine Zeitlang als Briefbeschwerer. Der Kopf ist heute verschollen.

Nach wechselvollem Verbleib und Schicksal wurden die Reste Ned Kellys, die zuvor einer DNA-Identifizierung unterzogen worden waren, 2013 den zahlreichen Nachkommen der Familie übergeben. Die Knochen wurden gemäß dem letzten Wunsch des Gehenkten in der Nähe des Grabes seiner Mutter auf dem Friedhof in Greta begraben. In der St. Patricks Kirche im nahen Wangaratta, Victoria, wurde eine Totenmesse zur Beisetzung des getauften Katholiken in „geweihtem Boden“  gelesen – nicht unumstritten in der Öffentlichkeit Australiens.

Kellys Grab 

Die Diskussionen um den Verbleib der Reste zeigte, dass die unterschiedliche Bewertung der Gestalt Ned Kellys zwischen Anhängern von „Law and order“ und mehr liberal und sozial Denkenden auch heute noch vorhanden ist – wie zu seinem Lebzeiten und bei seiner Hinrichtung. Die Befürworter einer würdigen Bestattung werten ihn auch als historische Gestalt der Geschichte Australiens, die innerhalb ihrer Zeit zu sehen ist.

Ich habe mich gefragt, warum ein Krimineller und Mörder wie Ned  Kelly  letztlich doch eine „Ikone“ Australiens geworden ist.

Ich möchte seine kriminellen Taten nicht rechtfertigen, aber offenbar hatte er einen Sinn für Gerechtigkeit, auch für die Unterprivilegierten und Außenseiter. Dieser Sinn ist in der Geschichte Australiens nicht immer zu finden. Das koloniale Erbe hat Opfer hinterlassen, nicht nur unter den Aborigines.

Vielleicht hängt die Hochschätzung des „Outlaws“ auch mit dem rebellischen und selbsthelferischen Geist der frühen Convicts (Gefangenen) und Siedler zusammen, der in manchem Australier immer noch schlummert – unter dem gängigen Konformismus und der üblichen Gesetzestreue.

Ned  Kelly repräsentiert eine „andere Seite“ Australiens. Nicht die der der „heroischen“ Siedler, der „gloriosen“ Entdecker, Forscher, Staatsmänner, der „Lichtgestalten“ der offiziellen Geschichtsschreibung, sondern die der armen Immigranten, der freigelassenen Strafdeportierten, die als kleine Farmer, Bedienstete, „Digger“ ( Goldgräber), Viehtreiber, Arbeiter. Sie kämpften um´s Überleben, hatten mindere Rechte und wussten sich manchmal nicht anders zu helfen, als sich zusammen zu tun und zu Gewalt und Rebellion gegen das „Establishment“ zu greifen. Lebensgeschichten, die nur selten ge- und beschrieben wurden. Heute wendet man sich in Australien allerdings auch dieser Seite der Geschichte des Kontinents zu. Ich konnte in Museen und Gedenk-Orten viel darüber erfahren.

Eine gewisse Aktualität hat die Figur Ned Kellys auch deswegen wieder bekommen, weil Australien in der Frage der Zuwanderung von Flüchtlingen und ihrer Behandlung gespalten ist.

Mauerskulptur in der Nähe des Melbourner Gefängnisses in Anspielung an Kellys Totenmaske 
Kelly als Wandmalerei in La Trobe Street, Melbourne  (Bild: Ha-Ha)





Plakat des Kelly-Films mit Mike Jagger in der Hauptrolle. Die "Kelly-Story" wurde seit 1906 mehrfach verfilmt.

Sidney Nolan, Aus der Ned-Kelly-Serie ( 1946/7 - National Gallery of  Australia, Melbourne). Kelly hier als "Hero" des Outback.
Die Gestalt Kellys hat australische Künstler, Schriftsteller und Filmemacher vielfach beschäftigt. Nolans Serie von Kelly-Bildern, in einem eigenen Raum in der Nationalgalerie ausgestellt, ist die interessanteste und berühmteste malerische Auseinandersetzung mit der Figur des Outlaws. 















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